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Bürgerdialog: Wirklich hitzig wird es beim Thema Nahost – 90 Minuten Kanzlertalk

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim Bürgerdialog in Brandenburg




Taurus? Ukraine? In Brandenburg stellt der Kanzler fest: Die Sorgen der Bürger reichen weit über Waffenlieferungen und Friedenszenarien hinaus. Nur Applaus will nicht so richtig aufkommen.Der Kanzler knetet wieder das Mikro. Auweia, was kommt jetzt? Wenn Olaf Scholz am fluffigen Lärmschutz rumspielt, werden ihm gern mal heikle Fragen gestellt – die ihm ab und an dann auch klare Bekenntnisse entlocken. Erst kürzlich hat er sein “Nein” zur Lieferung von “Taurus”-Marschflugkörpern an Kiew, nach wahrlich ausdauernder Abwägung, aus dem Schaumstoff geknetet. Was veranlasst also diese Mikrofonmassage?Zahlreiche Fragen zum Niveau der Renten, der umstrittenen Bürgergelderhöhung oder dem Mangel an bezahlbarem Wohnungsbau – zu praktisch allem also, was die Bürgerinnen und Bürger gerade bewegt. Man könnte auch sagen: Es geht um klassische SPD-Themen, bei denen es hörbar besser laufen könnte.Was nun, Herr Bundeskanzler?Bürgerdialog in Brandenburg an der Havel. Rund 160 ausgeloste Gäste haben Gelegenheit, dem Bundeskanzler anderthalb Stunden ihre Fragen zu stellen. Wenn man so will, handelt es sich beim 13. von insgesamt 16 “Kanzlergesprächen” – die Scholz einmal in jedes Bundesland führen – um ein halbes Heimspiel. Sein Wahlkreis liegt direkt um die Ecke. Dass er 2021 direkt gewählt wurde, sei  “eine ganz bewegende Sache” für ihn gewesen, sagt ein demütiger Scholz.SPD Sound 9:05Doch Scholz wäre wohl nicht Scholz, wenn er nicht sein Image als Kanzler pflegen würde, der alles im Blick und im Griff habe. Eine Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: “Wir sind dran”, versichert der Kanzler einer Rechtsanwältin, die sich um hohe Pflegebeiträge sorgt. Zügige Zuschüsse bei längeren Pflegeaufenthalten sollen hier Abhilfe schaffen. “Wir schauen uns das an”, sagt Scholz einem Sozialarbeiter, der sich eine stärkere Förderung von Elektromobilität wünscht. Der Kanzler befindet, dass E-Autos vor allem erschwinglich werden müssten, aber da sei er guter Dinge. Und der Wohnungsbau, der nicht in die Gänge kommt? Eines der “wichtigsten Anliegen” in seiner politischen Laufbahn, hält Scholz fest. Mehr Bauland müsse her – und dort, wo die Not besonders groß sei, im Zweifel ganz neue Stadtteile entstehen. Das klingt nach einem hemdsärmeligen Regierungschef mit Macher-Mentalität – der die ein oder andere Lieferschwierigkeit auch mit einer engagierten Antwort nicht verbergen kann. Ausweislich der Umfragen lässt Scholz’ Performance in den Augen der allermeisten zu wünschen übrig. Dem Kanzler kommt hier sicher zugute, dass die Veranstaltungsdauer von 90 Minuten angesichts der vielen Fragen doch recht knapp bemessen ist. Nachfragen sind nicht gestattet. Begeisterter Applaus offenbar auch nicht: Der kommt kein einziges Mal nach einer Kanzler-Antwort auf, obwohl sich Scholz bemüht zeigt, auf alle Antworten ausführlich einzugehen.Olaf Scholz’ kurze Pause vor dem “T”-WortDoch eine Art Reality-Check für den Kanzler ist der Abend in Brandenburg allemal. Raus aus der Berliner Blase, rein in die Alltagssorgen der Leute da draußen. Nur kurz kommt das Dauerthema “Taurus” zur Sprache – als ein Mann seine Frage zum Ausbau der erneuerbaren Energien mit einer Respektbekundung für Scholz einleitet, die weitreichenden und wirkmächtigen Waffe nicht geliefert zu haben. “Schönen Dank für die Frage”, sagt Scholz, “und auch für die freundliche Bemerkung am Anfang”. Und nun zu den Netzentgelten… Das Kanzlergespräch in Brandenburg ist für Scholz somit auch eine kurzweilige Flucht aus einer Debatte, die aus seiner Sicht an Lächerlichkeit nicht zu überbieten ist, wie er kürzlich moserte. Blöd nur, dass sie seiner SPD ein leichtes Plus in den Umfragen beschert. Zumindest sind viele Genossen fest überzeugt, dass Fraktionschef Rolf Mützenich einen gewinnbringenden Punkt gemacht hat, als er im Bundestag anregte, auch über ein “Einfrieren” des Ukraine-Krieges nachzudenken – und nicht nur über das leidige “T”-Wort. Die Überlegung hatte eine heftige Debatte zur Folge, nicht zuletzt kopfschüttelnde Koalitionspartner. Nur nicht in Brandenburg, wie es scheint: Auch dieses Thema spielt beim Kanzlergespräch keine Rolle. Große Kontroversen bleiben an diesem Abend aus, trotzdem kommt der Kanzler regelmäßig ins Kneten. Wenn die “Brandmauer” gegen die rechtspopulistische AfD infrage gestellt wird, die es nach Scholz‘ Ansicht aber brauche: Das Grundgesetz sei “sauer erkämpft” worden, Scholz will es nicht kampflos preisgeben. Oder als er die umstrittene Bürgergelderhöhung verteidigt, die eine Rentnerin als unfair empfindet: Immerhin habe sie ihr Leben lang hart gearbeitet, während andere nun – so ihr Eindruck – einfach so mehr Geld bekämen. Scholz erklärt, dass die Erhöhung an die Inflation gekoppelt ist, prophezeit für das kommende Jahr eine Nullrunde und versichert, dass sogenannten “Totalverweigerern” (“die sich durchschlawinern”) künftig die Leistungen gekürzt würden, wenn sie sich abermals einer Arbeit verweigerten.”Damit es in Israel alle verstehen”Wirklich hitzig wird’s aber erst, als eine Frage zum Nahost-Krieg gestellt wird. Eine Frau hält der Bundesregierung vor, “heuchlerisch” zu handeln – weil sie trotz humanitärer Not im Gazastreifen keine strikte Waffenruhe fordern würde, gleichzeitig aber Waffen an Israel liefere und über dem Krisenherd “ein paar Tonnen Lebensmittel” abwerfe. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, befindet die besorgte Brandenburgerin.Scholz nimmt sich Zeit für seine Antwort, holt weit aus. Er betont die Unterstützung für Israel, die nach dem brutalen Angriff der Terrormiliz Hamas jedes Recht habe, sich zu verteidigen. Jedoch auch, dass man “natürlich alles” dafür tun müsse, dass die Menschen in Gaza nicht verhungern würden. Ein kommunikativer Spagat, den Scholz auch aus dem Ukraine-Krieg bekannt sein dürfte. STERN PAID 12_24 Scholz Pistorius7.57Scholz fordert, dass mehr Lebensmittel und Medikamente nach Gaza gelangen müssten,  “mindestens 500 Lastwagen” pro Tag, damit unschuldige Zivilisten nicht notleiden und sterben müssten. Das sei auch einer der “Hauptpunkte” gewesen, die er auf seinem kürzlichen Israel-Besuch mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besprochen habe. Er erklärt, dort “absichtlich” eine Pressekonferenz auf Englisch gehalten zu haben, “damit es in Israel alle verstehen”. Gerade als Freund dürfe man auch “klare Worte” sprechen, findet der deutsche Kanzler. Dazu gehört auch: Die Zweistaaten-Lösung bleibe auch jetzt eine “notwendige Perspektive”. Am Ende des Abends gewährt der Kanzler noch eine Bonus-Frage. Die 90 Minuten sind längst überschritten. Doch Scholz möchte gern noch antworten. Kommt jetzt der “Taurus”, das “Einfrieren” des Ukraine-Kriegs?Nein, ein Mann möchte vom Kanzler wissen, warum Beamte nicht in die Rentenkasse einzahlen müssten. Irgendwie ungerecht, oder? Es sind Fragen wie diese, die an diesem Abend interessieren.



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Author : Florian Schillat

Publish date : 2024-03-25 22:39:00

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