Deutschlands Wirtschaft könne nicht bis zu Neuwahlen warten, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Ökonomen wie Ifo-Präsident Fuest widersprechen: Das Gegenteil sei richtig.Im März kommenden Jahres könnte es zu Neuwahlen in Deutschland kommen. Jedenfalls, wenn es nach den Vorstellungen von Bundeskanzler Olaf Scholz geht. Vorher gelte es aber noch einige Vorhaben abzuarbeiten – vor allem für die Wirtschaft, die unter hohen Unsicherheiten leidet: Energiepreise, Ukrainekrieg und Donald Trump. Es brauche Reformen jetzt, und nicht erst, wenn eine neue Regierung Mitte 2025 ins Amt gekommen sei, so Scholz am Dienstagabend. “Unsere Wirtschaft kann nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben”. Wenn es nach Scholz geht, soll die alte Bundesregierung noch die wichtigsten Reformen bis Weihnachten abarbeiten. Dann, im neuen Jahr, werde er die Vertrauensfrage stellen, so Scholz. Das bringe zwei Monate Zeit für Reformen anstelle von Unsicherheit – was gut für die Wirtschaft sei, meint Scholz. Nur, so sagen von Capital befragte Ökonomen: Das Gegenteil sei richtig. Schnellere Neuwahlen würden Sicherheit bringen, nicht Reformen per se.”Neuwahlen zu verzögern, um Einzelmaßnahmen noch durchs Parlament zu bringen, schädigt die Wirtschaftsentwicklung, weil die Phase der Unsicherheit verlängert wird”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest zu Capital. “Deshalb braucht die Wirtschaft so schnell wie möglich Neuwahlen.”PLUS Fried Kolumne Regierungskrise Lindner Scholz 22.10Genauso sieht es auch Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING. “Was die Wirtschaft noch dringender braucht als Stabilität, ist eine Perspektive. Und das kann die aktuelle Regierung nicht mehr liefern. Kurzfristige Stabilität hilft der Wirtschaft überhaupt nicht, wenn eine neue Regierung drei Monate später alles zurückdrehen könnte”, sagte Brzeski Capital. In Deutschland seien Firmen und Konsumenten ohnehin schon zurückhaltend. Das würde sich nicht ansatzweise dadurch drehen, wenn die alte Regierung zwei Monate länger im Amt bleibe.”Eine Hängepartie bis zur Wahl ist nicht gut für eine Konjunktur”, sagte auch Ökonom Holger Schmieding im Berenberg-Podcast. Insofern sei eine vorgezogene Neuwahl im März aber immer noch besser als eine Hängepartie bis September.Trotz Neuwahlen handlungsfähigUm die Stabilität machen sich Ökonomen eher weniger Sorgen. Bei den Ukraine-Hilfen gebe es beispielsweise “immer noch genügend vernünftige Demokraten, auch in der Opposition, die Hilfen kurzfristig frei machen würden”, sagte Brzeski.Norbert Tofall vom Vermögensverwalter Flossbach von Storch bezeichnete spätere Neuwahlen sogar als verantwortungslos. “Olaf Scholz gibt vor, aus staatspolitischer Verantwortung zu handeln, will aber wohl Fakten schaffen. Vermutlich wird er versuchen, Friedrich Merz für die Aussetzung der Schuldenbremse zu gewinnen.” Dem könne die CDU aber gar nicht zustimmen. “Dieses Agieren von Olaf Scholz und vermutlich auch von Robert Habeck zeigt, woran die Ampel wirklich gescheitert ist.”Schuldenbremse wird zum WahlkampfthemaDas Thema Schuldenbremse wird daher aber unweigerlich den Wahlkampf bestimmen, meinen die Ökonomen. Ob und wie sinnvoll die aktuellen Regeln sind, darüber wird in der Szene leidenschaftlich gestritten. Ordoliberale Ökonomen wie Lindner-Berater Lars Feld wollen an ihr festhalten, die meisten, darunter auch die Ökonomen vom Wirtschaftssachverständigenrat, plädieren für umfassende Reformen der starren Regeln, und vor allem progressive Ökonomen würden sie am liebsten ganz abschaffen. “Ich halte einen wirtschaftspolitischen Durchbruch mit der aktuellen Schuldenbremse für unmöglich”, sagte ING-Volkswirt Brzeski. Man müsse zwar nicht die Schuldenbremse abschaffen – auch Sondertöpfe und Reformen seien möglich – aber klar sei, so Brzeski: “Die lange Liste an notwendigen Reformen und Investitionsvorhaben kann ich nur durchsetzen, wenn ich an der Schuldenbremse rüttele.” Selbst die von Christian Lindner vorgelegten Pläne hätten nach Meinung Brzeskis wohl ein Aussetzen der Schuldenbremse notwendig gemacht. Auch wenn Lindner das selbst anders bewertet.Viele Ökonomen zeigen indes Sympathie für die Vorschläge Lindners. Diese sahen zum Beispiel Kürzungen beim Bürgergeld, Bürokratieabbau und Steuersenkungen vor. “Der Fehler von Christian Lindner besteht nicht darin, das Forderungspaper vorgelegt zu haben. Der Fehler von Christian Lindner besteht darin, dieses Papier nicht bereits im Sommer 2023 vorgelegt zu haben. Aber besser spät als nie”, sagte Flossbach-von-Storch-Experte Tofall. Und auch Brzeski hält die Forderungen grundsätzlich für richtig. “Das Papier enthält viele gute Elemente. Das Problem sind die rigiden Staatsfinanzen.”Immerhin: Mit Jörg Kukies stünde nun ein fähiger Lindner-Ersatz parat – sagte zumindest Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, zu Capital: “Jörg Kukies ist ein exzellenter Fachmann und er weiß genau um die Probleme des Standorts Deutschland. Wenn jemand für diese Mission Impossible geeignet ist, ohne Mehrheiten einen Haushalt und geplante Reformmaßnahmen abzuschließen, dann er.”Disclaimer Capital bei stern+
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Author : Jannik Tillar
Publish date : 2024-11-07 20:50:00
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